yottak!

 

von Jan-Erik Lundström

 

Die Künstlerin und ihr Werk, Arbeitstitel yottak! gleich Künstlername, verweisen auf so manches Unergründliche sowohl in Identität des Menschen als auch der Abbildung seines Antlitzes. Dies gilt insbesondere für die neuen Arbeiten von Yotta Kippe. Zwar kann man einige ihrer großformatigen Bilder rein technisch als Selbstbildnisse bezeichnen, da die Künstlerin sich im Schaffensverlauf auch vor der Kamera befand oder zumindest irgendwie fotografisch fixiert wurde; doch mit Porträtierung (Identifikation oder Beschreibung einer Persönlichkeit) haben diese anonymen durch eine gewisse Unheimlichkeit fesselnden Gesichter wenig zu tun. Da die Künstlerin ihr eigenes Modell ist, sind autobiographische Bezüge, seien sie auch noch so schwach, unvermeidlich und lassen die Betrachter nach der Person hinter den verwischten Gesichtszügen suchen. Wie auch immer – wichtiger ist die Bestimmung des Antlitzes als Ausgangs-punkt für die Symbolik der Bilder, ja das Antlitz ist Grundlage der Bilder, hier aber unbegrenzt veränderbar.

 

Die Gegenwart verlangt von uns nicht weniger als eine Neudefinition dessen, was menschliches Sein bedeutet. Der Körper des Men-schen ist heute als eine Biomaschine anzusehen, wo die Grenzen zwischen Physis und Technologie, Anatomie und Maschine, Stoff-lichem und Immateriellen durch Technologie permanent neu bestimmt werden. Damit verschieben sich auch die Übergänge zwischen Leben und Tod. Das Unheimliche der Fotografie, das André Bazin in seiner "Ontologie des fotografischen Bildes" als Kampf des Menschen gegen die Zeit begreift ("Der Tod ist nichts anderes als ein Sieg der Zeit."), wird in den Fotografien von Yotta Kippe neu vermessen. Obwohl Bildtitel wie "Precious Little Moments" die bekannte Interpretationsbedürftigkeit der Fotografie zu Wirklichkeit und Vorhandensein in den Vorder-grund zu stellen scheinen, wollen Yotta Kippes Abbildungen nicht den Augenblickszustand festhalten, um einen künftigen Tod abzuwenden. Vielmehr werden die Betrachter mit einer fundamentalen, das Herzstück der Bildersymbolik unserer Zeit betreffenden, ontologischen Unsicherheit konfrontiert, wo der Tod mit dem Leben und das Leben mit dem Tod scheinbar die Plätze getauscht haben.

 

Nach Derrida ist das Antlitz die "eigentliche moralische Falle". Die yottak!-Antlitze führen die Betrachter vom ausgetretenen Weg ab, indem sie ihnen keine Bezugnahme gönnen, denn sie sind weder körper- noch ortsbezogene visuelle Darstellungen, Vorstellungen oder Bilder. Sie hypnotisieren uns, die yottak!-Antlitze , aber sie geben nichts von sich preis. Mit dieser ungeheuerlichen, grotesken und schockierenden Kunstmoral konfrontiert uns Yotta Kippe: die Antlitze werden mit Bedacht verändert, sie werden verzerrt, entstellt, vereinfacht und umgearbeitet. Ausbleichen beraubt sie beinahe der Körpereigenschaft, die Gesichtszüge werden unkenntlich, ja aufgelöst. Kurz: grelle Totenstille verunstaltet das Antlitz,  nimmt ihm das Gesicht.

 

Es gibt gegensätzliche Arbeiten von Yotta Kippe, in erster Linie jedoch solche, die eine Erkundung und Umkehrung der bildergesättigten Kultur vornehmen, deren Bilderwelt es an (visueller) Bedeutung mangelt, die Quantität über Qualität stellt, in der Desinformation und Destabilisierung durch Entstellung des Kontextes erreicht werden und Erfolgstrachten das Nachdenken überschattet. Das steht im Gegensatz zum trivialen Irrtum der Bildphilosophie, dass eine Begegnung mit dem Anderen – mit dir, ihr, ihm, ihnen – möglich ist. Nur das Bewusstsein kennt ein Selbst. Und nur das Gesicht ermöglicht eine solche Begegnung. Das Pronomen kann nicht ohne Gesicht sein. Die schreckliche Schönheit der Gesichter von yottak!, durch Überbelichtung fast ausgelöscht, durch die Spektralfunktion der Biomaschine Mensch ins Weiß versetzt, leitet uns auf den Weg zu einer tabula rasa, auf der vielleicht wieder ihr, er,  sie, du, - ja ich – geschrieben werden kann.